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Mikromobilität – Hype oder schon bald Alltag?

E-Bikes, E-Scooter, Segways und Hoverboards – düsen wir bald alle elektrisch durch die Straßen? Die Verkehrsforscherin Laura Gebhardt vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gibt im Interview einen Einblick in das neue Phänomen der Mikromobilität sowie die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen.

Interview von Denise Nüssle

 

Was versteht man unter Mikromobilität und was ist neu daran?

Wenn wir von Mikromobilen sprechen, dann handelt es sich typischerweise um Fahrzeuge, die ein oder zwei Personen befördern können. Dazu zählen Fahrräder und Roller, Segways oder Hoverboards, aber auch Kleinstwagen wie der Renault Twizzy. Einige davon gibt es bereits schon länger. Was dem Thema neuen Schwung gegeben hat, sind einerseits der elektrische Antrieb und andererseits das Sharing-Prinzip.

 

Wo kommen Mikromobile typischerweise zum Einsatz?

Da gibt es mehrere Szenarien. Eines davon ist die sogenannte letzte Meile. Man fährt zum Beispiel mit der S- oder U-Bahn und für die letzten ein bis zwei Kilometer zum Ziel nutzt man einen E-Scooter und lässt ihn dann stehen. Oder man nutzt sie im Sommer für Strecken, die man ansonsten zu Fuß oder mit dem Fahrrad absolviert hätte. Um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können, brauchen wir noch eine weit größere Datengrundlage. Bisher können wir teilweise auf Daten der Anbieter solcher Mikromobile zurückgreifen. So wissen wir zum Beispiel, dass die durchschnittliche Weglänge rund zwei Kilometer beträgt. Vorwiegend werden E-Scooter abends und an Samstagen genutzt, also eher für Freizeitzwecke. Seit Sommer und der Corona-Pandemie hat sich die Weglänge um 25 bis 30 Prozent verlängert.

 

Ist Mikromobilität vorwiegend auf die Stadt beschränkt?

Viele Verkehrsinnovationen der letzten Zeit, ob Sharing-Angebote oder On-Demand-Shuttles sind fast ausschließlich in den Zentren großer Städte zu finden. Denn dort sind auch die meisten potenziellen Nutzerinnen und Nutzer, meist jüngere und technikaffine Menschen. Sonst lohnt es sich für die Anbieter nicht. Im Umkehrschluss heißt das allerdings nicht, dass sich Mikromobile nur für urbane Räume eignen. Sie bieten auch eine Chance für Bereiche am Stadtrand oder für nicht so dicht besiedelte Gebiete, wo der öffentliche Nahverkehr ausgedünnt oder nicht vorhanden ist. Ich würde mir mehr Projekte wünschen, die auch dort erproben, ob und wie Mikromobilität den Alltag der Menschen vereinfachen kann.

 

Leihen oder kaufen?

Beides ist eine Option. Ein Fahrrad zu besitzen und zu nutzen gehört für viele von uns zum Alltag. Deshalb hat man auch bei E-Bikes eine relativ klare Vorstellung davon, wie man ein Fahrrad einsetzt und wofür man sein Geld investiert. Bei E-Scootern ist das anders. Die Menschen können sie noch nicht so ganz einordnen: Wo macht ihr Einsatz Sinn? Wie funktioniert die Nutzung und wie sieht es aus mit der Sicherheit? Deshalb stehen hier vor allem das Leihen und Ausprobieren im Vordergrund, auch wenn es immer mehr Angebote zum Kauf von E-Scootern gibt, teilweise schon bei Discountern für einige hundert Euro.

 

Welche neuen Möglichkeiten entstehen durch Mikromobilität?

Die Nutzerinnen und Nutzer können mit einem Mikromobil flexibel von A nach B kommen. Die meisten Angebote funktionieren nach dem Prinzip des „free-floating“. Das heißt, es gibt keine festen Mietstationen, sondern der E-Scooter oder das E-Bike können quasi überall abgestellt werden. Ums Laden, Warten und Instandhalten kümmert sich der Anbieter.

Perspektivisch wird es interessant sein zu beobachten, ob Mikromobilität Wege mit dem Pkw ersetzt. Täglich gibt es fast 30 Millionen Pkw-Fahrten in Deutschland, die kürzer als zwei Kilometer sind. Weitere knapp 30 Millionen Fahrten sind kürzer als vier Kilometer. Am DLR-Institut für Verkehrsforschung haben wir eine Potenzialanalyse durchgeführt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bei rund 20 Prozent aller Pkw-Wege unter vier Kilometern der E-Scooter ein Ersatz sein könnte. Bei dieser Berechnung sind Ausschlussfaktoren wie schlechtes Wetter, die Mitnahme von Gepäck und Mitfahrenden schon berücksichtigt.

 

Und was sind die Herausforderungen?

Mikromobile erweitern das Angebot an Verkehrsmitteln. Damit einher geht die Frage, ob und gegebenenfalls wie wir den Verkehrsraum vor allem in den Städten verteilen. Gehweg, Fahrradwege oder Straße – wo sollen E-Bikes, E-Scooter & Co unterwegs sein? Brauchen wir spezielle Parkzonen, wie wir sie auch für Pkw haben? Wie steht es um die Sicherheit? Brauchen wir eine Helmpflicht? Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit ist noch nicht ausreichend beleuchtet: Wie ökologisch sinnvoll sind zum Beispiel E-Scooter, wenn man Aspekte wie Produktion, Lebensdauer und Aufwand fürs Laden und Instandhalten miteinbezieht? Was die Forschung zu Mikromobilität betrifft, stehen wir am Anfang. Für uns gilt es, zunächst mehr zuverlässige und vergleichbare Daten zu sammeln, um genauere Aussagen zu diesen Fragen treffen zu können.

 

Wie sieht es aus mit Hoverboards oder elektrischen Skateboards?

Hoverboards, Monowheels, E-Skateboards und Segways werden sich voraussichtlich eher auf die private Nutzung oder sehr spezifische Anwendungsfälle beschränken. Was allerdings in den nächsten Jahren spannend werden könnte, ist die Entwicklung von elektrischen Kleinstfahrzeugen. Besonders im betrieblichen Kontext, beispielsweise für kommunale Fuhrparks oder für die letzten Kilometern zum Empfänger bei Kurier-, Express- und Paketdiensten.

 

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft?

Wenn wir unsere Mobilität nachhaltiger, bedarfsgerechter und effizienter gestalten wollen, brauchen wir ein großes Portfolio an Mobilitätsoptionen, die den Menschen zur Verfügung stehen. Nur dann können wir abhängig von den individuellen Anforderungen und der Situation aus dieser Palette auswählen, wie wir am besten von A nach B kommen. Mikromobilität kann hier ein Baustein sein. Da sie noch ein relativ junges Phänomen ist – E-Scooter sind beispielsweise erst seit 2019 auf deutschen Straßen unterwegs – lohnt es sich, diesen Mobilitätsangeboten Zeit zu geben und sie weiter zu beobachten. Denn unsere Mobilität ist stark von Routinen geprägt, die sich über Jahre etablieren, und unser Verhalten ändert sich nur langsam.

 

Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)